Los geht’s!
Markus Lewe, Oberbürgermeister der Stadt Münster, begleitet das Konversionsprojekt von Beginn an in seiner Amtszeit. Im Interview spricht er über das Ziel Klimaneutralität und den Beitrag des Oxford-Quartiers.
Die Stadt Münster hat sich ein ambitioniertes Ziel auf die Fahnen geschrieben: Klimaneutralität. Was bedeutet das genau?
Markus Lewe (ML): Wir stehen vor einer epochalen Aufgabe. Der massiv voranschreitende Klimawandel ist die weltweit größte gesellschaftliche Herausforderung unserer Zeit. Die Folgen des Klimawandels sind sichtbar und schmerzhaft spürbar und sie treffen uns alle. Und sie werden zukünftige Generationen umso brutaler treffen, je weniger wir jetzt tun. Laut Bericht des Weltklimarats wird sich die Erde bei der derzeitigen Entwicklung bereits gegen 2030 um 1,5 Grad im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter erwärmen und damit zehn Jahre früher als noch 2018 prognostiziert. Für uns bedeutet das: wir müssen jetzt handeln, wir müssen schneller, wir müssen entschlossener handeln. Wenn wir nicht konsequent umsteuern, zerstören wir die Lebensbedingungen auf unserem Planeten unwiederbringlich. Um in Münster Klimaneutralität zu erreichen und uns auf die Folgen des Klimawandels einzustellen, müssen wir unsere CO2-Emissionen um 95 Prozent senken, 70 Prozent an Energie einsparen und uns fortlaufend um Klimaanpassung kümmern. In den nächsten Jahren müssen die Energie-, Wärme- und Mobilitätswende konsequent umgesetzt werden. Es geht um nicht weniger als um eine vollständige Dekarbonisierung der Energieversorgungssysteme, die energetische Sanierung des gesamten Gebäudebestands, die Neugestaltung und Umverteilung der Verkehrsflächen hin zum Umweltverbund und eine konsequente Neuausrichtung auf ein klimaneutrales und nachhaltiges Wirtschaften und Leben. Es bedarf nicht nur einer deutlichen Intensivierung und Beschleunigung aller bestehenden Klimaschutz-Aktivitäten, -Maßnahmen und -Prozesse in der Stadtgesellschaft und einer stärkeren Verzahnung dieser, sondern Klimaschutz muss zum Leitmotiv allen Handelns werden. Die beiden Quartiere York und Oxford gehen hier schon mit gutem Beispiel voran: Statt Siedlungsgebiete in den Freiraum zu entwickeln, werden Brachflächen reaktiviert, vorhandene Infrastrukturen genutzt und dadurch auch zahlreiche Wege- oder Pendlerbeziehungen überflüssig gemacht.
In Zahlen: Wie ist der Status quo und wo steht Münster damit im Vergleich zu anderen Städten?
ML: Die CO2-Emissionen der Stadt Münster konnten bis 2020 um circa 31 Prozent reduziert werden – im Vergleich zum Ausgangsjahr 1990 und gemessen nach dem bundesweit gültigen und anerkannten BISKO-Standard auf Basis des Territorialprinzips. Um das Ziel der Klimaneutralität zu erreichen, muss also, gemessen an den bisherigen Fortschritten, in einem Drittel der Zeit die dreifache Reduktion erfolgen. Also eine echte Mammutaufgabe. Als stark wachsende Stadt mit einem hohen Flächendruck und zahlreichen Zielkonflikten steht Münster dabei auch noch einmal vor einer ganz besonderen Herausforderung. Im bundesweiten Vergleich der Reduktionsfortschritte liegt Münster damit in etwa auf der Höhe vergleichbarer Städte wie Freiburg, Göttingen oder Osnabrück - deren Fortschritte liegen auch bei circa 30 Prozent.1
Das Ziel lautet also: CO2 senken und an die Folgen des Klimawandels anpassen. Ambitioniertere Gebäudeleitlinien, die Verbesserung der verkehrlichen Situation, mehr erneuerbare Energien – wo sieht die Stadt die wirksamsten Ansatzpunkte und geht sie selbst mit gutem Beispiel voran?
ML: Es müssen in allen zentralen Handlungsfeldern (Gebäude, erneuerbare Energien, klimafreundlich Leben, Mobilität, Arbeiten & Wirtschaften) und sowohl von der Stadt als auch von Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft Maßnahmen zur CO2-Einsparung und zur Gestaltung einer klimaresilienten Stadt ergriffen werden. Das größte Potential zur CO2-Einsparung liegt derzeit im Gebäudesektor: Dieser trägt zu circa 30 Prozent der CO2-Emissionen in Münster bei. Hier gilt es, den Energieverbrauch durch energetische Sanierung zu minimieren und den verbleibenden Verbrauch durch effiziente und erneuerbare Energietechnik abzudecken. Auch hier geht das Oxford-Quartier wieder mit gutem Beispiel im Bereich klimagerechter Neubau voran. Und von diesen Erfahrungen profitieren wir zukünftig auch bei anderen größeren Quartiersentwicklungen.
Konkret zum Oxford-Quartier: Wegen seiner zukunftsfähigen Planungsansätze vom Regenwasserkonzept, dem Erhalt der alten Bäume bis hin zum alternativen Mobilitätskonzept gilt es als Leuchtturmprojekt in Sachen klimafreundliches und klimaangepasstes Quartier. Wie wichtig ist die Rolle des Quartiers bei dem Vorhaben, Münster zur Vorreiterstadt in Sachen Klimaschutz und Klimaanpassung zu machen?
ML: Die Entwicklung des Oxford-Quartiers hat zum Ziel, den lokalen Wasserhaushalt möglichst naturnah zu gestalten. Abfluss, Versickerung und Verdunstung sollen sich zukünftig am natürlichen Wasserhaushalt orientieren. Wenn die Quartiersentwicklung abgeschlossen ist, hat das Quartier – trotz neuer Bebauung – eine Verdunstungs- und Verrieselungsrate wie ein unbebautes Feld in der freien Landschaft. So kann die Gewässerbelastung und die Überflutungsgefahr deutlich verringert und das Stadtklima verbessert werden. Die Gestaltung eines wassersensiblen und damit klimaangepassten Quartiers, mit dem Ziel eines naturnahen Wasserhaushalts, war bereits der Ausgangspunkt für den städtebaulichen Wettbewerb. Die frühzeitige Berücksichtigung im Planungsprozess, war damit die Grundlage für das nun vorliegende innovative Konzept zur Regenwasserbewirtschaftung. Das Land NRW erkennt die Entwässerungsplanung als wegweisender Städtebau der Zukunft an und fördert die Umsetzung der Planung im Rahmen des Förderprogramms KommunalerKlimaschutz.NRW. Auch darüber hinaus setzt die erfolgreiche Umgestaltung der Oxford-Kaserne hin zu einem klimaangepassten Wohnquartier landes- und bundesweit Standards. 174 sehr alte Bäume werden erhalten und in den später öffentlichen Grünflächen um 330 neue Bäume ergänzt. Die historischen Baumstandorte zwischen den Gebäuden sind nicht nur wunderbare Kulisse und ein außergewöhnlicher Identifikationspunkt, sondern stehen als fertige Klimaschützer mitten in einem Neubaugebiet. Die integrale Betrachtung von Wasserelementen, Freiraum- und Grünplanung schafft ein lebendiges und lebenswertes neues Quartier. Ein weiterer Aspekt ist das „smarte“ Quartier, was ebenso für das York-Quartier gilt: Die Verknüpfung von hoher Lebensqualität, Schonung natürlicher Ressourcen, Nachhaltigkeit und Kostenreduktion mittels intelligenter (digitaler) Lösungen. Wir wollen immer noch einen Schritt weiter gehen und eine Blaupause in Sachen zukunftsfähiges Quartier schaffen.
Nachhaltigkeit im Oxford-Quartier: Welchen Punkt finden Sie besonders bemerkenswert?
ML: Neben dem schon erwähnten Regenwasserkonzept und dem Erhalt alter Bäume ist auch die Art der Grundstücksentwicklung besonders erwähnenswert: Mit jeder erfolgreichen Konzeptvergabe entstehen neue innovative Ideen. Denn die Grundstücke werden nicht einfach an die oder den Meistbietenden verkauft, sondern an die Investorin/den Investor oder die Bauträgerin/den Bauträger mit dem besten qualitätsreichen Konzept. Jedes Vorhaben bringt ein in sich stimmiges Mobilitäts- und Energiekonzept mit und trägt dazu bei, dass die Qualität des gesamten Quartiers gesteigert wird. Auch die passgenaue Definition der erforderlichen öffentlichen Infrastrukturen ist zu erwähnen: Die neue Linienführung für eine Busanbindung, neue Mobilitätsstationen und beste engmaschige Wege für Fußgänger und Radfahrer oder auch die Versorgung des gesamten Quartiers mit Fernwärme sind weitere Aspekte für einen sehr guten Klimaschutzbeitrag. Besonders wird auch die Mischung von verschiedenen Wohnformen sein – öffentlich gefördert, eigentumsbezogen oder besondere Wohnformen mit gewerblichen Nutzungen oder mit sozialen Einrichtungen und Angeboten: Der Neubau der evangelischen Kirchengemeinde, die nachbarschaftsbezogenen Nutzungen, die die neue Wohnungsgenossenschaft Grüner Weiler plant oder auch die geplanten sozialen Einrichtungen in den Wohnhöfen verzahnen sich mit den Angeboten der Grundschule, der KiTas oder auch des Bürgerhauses. Dadurch schaffen wir ein vitales und urbanes Quartier. Jeder neuen Einwohnerin und jedem neuen Einwohner bieten sich viele Möglichkeiten, die Wohnbedarfe und Ansprüche an das Wohnumfeld in Einklang zu bringen und mit zu entwickeln.
Klimaschutz ist ein Thema, das alle angeht – und nur mit Hilfe aller gelingen kann. Was planen Sie, um die Münsteraner Bürger:innen bei dieser zentralen Aufgabe mitzunehmen?
ML: Der Klimaschutz ist – wie gesagt – die größte gesellschaftliche Herausforderung unserer Zeit. Dies kann nur gelingen, wenn alle mitmachen. Wir brauchen in Münster also nicht nur einige wenige, die sich dieses Themas annehmen, sondern wir brauchen alle Einwohnerinnen und Einwohner – wir brauchen 316.000 Klimaschützerinnen und Klimaschützer. Das Projekt KlimaTraining, das in diesem Sommer in die zweite Runde startet, dient dazu, Bürgerinnen und Bürger konkrete Handlungsansätze für den Klimaschutz näher zu bringen. Im KlimaTraining werden durch die Stadt geschulte ehrenamtliche KlimaTrainerinnen und KlimaTrainer mit Bürgerinnen und Bürgern (die sogenannten Trainees), die ihren Alltag klimafreundlicher gestalten wollen, zusammengebracht. Die KlimaTrainerinnen und KlimaTrainer begleiten die Trainees auf ihrem ganz individuellen Weg zum Klimaschutz. Nach einer persönlichen Selbsteinschätzung, der Erstellung einer CO2-Bilanz und der Entwicklung eigener Ziele, haben die Trainees die Möglichkeit viele Angebote, Produkte und Dienstleistungen von Münsteraner Unternehmen, Vereinen etc. auszuprobieren und sich so ihren Weg hin zu mehr Klimaschutz im Alltag zu erarbeiten, der auch Spaß macht und so schnell zur Routine wird. Außerdem werden die Bürgerinnen und Bürger durch verschiedene Infoformate in den Bereichen klimafreundliche Wohngebäude und Klimaanpassung unterstützt. Dazu gehören z. B. Online-Vorträge, Infoveranstaltungen und Aktionswochen. In den verschiedenen Formaten besteht die Möglichkeit, sich zu informieren und auszutauschen und hilfreiche Tipps für das weitere Vorgehen und weitere Beratungsangebote zu bekommen.
Klimaschutz lebt auch von vielen kleinen Maßnahmen: Was ist Ihr privater Klimaschutz-Tipp für Münsteraner:innen, die direkt starten wollen auf dem Weg zur Klimaneutralität?
ML: In Anlehnung an das Prinzip des KlimaTrainings: Sich eine konkrete Sache von den „Eigentlich müsste ich doch mal für den Klimaschutz…“-Ideen aus dem Alltag raussuchen und dazu ein konkretes Ziel definieren. Zum Bespiel die Idee, jeden Tag mit dem Rad zur Arbeit zu fahren. Das mache ich zum Beispiel bei Wind und Wetter und mittlerweile fühle ich mich richtig unausgeglichen, wenn ich mal nicht mit der Leeze fahren kann. Wichtig ist, die Umsetzung dafür Schritt für Schritt zu planen, wie z.B. einen gut zu fahrenden Weg rauszusuchen, gute Regenkleidung zu kaufen etc. und das dann umzusetzen, nicht zu schnell aufzugeben und immer wieder bei jedem Wetter zu „trainieren“. Denn: Um neue Alltagsgewohnheiten zu etablieren, benötigen wir etwa 66 Wiederholungen.
1 CO₂-Emissions-Reduktion Städtevergleich:
Münster: 31% (2020)
Osnabrück: 30% (2018)
Göttingen: 33% (2020)
Freiburg: 26% (2018)
Quelle: https://www.stadt-muenster.de/klima/unser-klima-2030/vision/energie-und-klimaschutzbilanz